In der christlichen Stadt Enishke an der türkischen Grenze im Nord-Irak, die geprägt ist von Flucht und Gewalt, lebt eine ganz besondere Figur. Pater Samir Al-Khoury ist ein katholischer Priester, der sich für jeden einzelnen Bewohner in der Stadt einsetzt. Er ist Assyrer und gehört der chaldäisch-katholischen Kirche an und zählt somit zu einer ayrisch-aramäischen sprechenden ethnischen Minderheit im Mittleren Osten. Vor 2004 lebten etwa 600 einheimische Christen in Enishke, heute sind es nur noch 78 Familien verschiedener Religionszugehörigkeit. Alle anderen sind aufgrund der unsicheren Lage weggezogen oder ausgewandert. Viele sind nach Europa oder Erbil gegangen.
“Der Winter ist hart und uns fehlt Diesel”, sagt Pater Samir. Besonders seit dem Ukraine-Krieg sind die Preise enorm gestiegen. Ein Barrel, um die 159 Liter Diesel kostet 120.000 irakische Dinar, im Winter steigen die Preise auf bis zu 154.000 Dinar, was in etwa 110 Euro entspricht. Im Vergleich zu Deutschland erscheint der Dieselpreis erstmal günstig. Bei einem irakischen Durchschnittsgehalt von 320 Euro erklärt sich jedoch die nicht stemmbare Summe von 100 Euro “Die Menschen hier haben kaum Geld und deshalb versuche ich zu helfen, wo ich kann”, sagt er, während er einen Schluck von seinem Chai nimmt. Pater Samir hat einen Generator für die Menschen in der Stadt gekauft, um ihnen ein bisschen Lebensqualität in den kalten Wintermonaten zu geben. Dann können die Temperaturen in den zweistelligen Minusbereich sinken. Aber auch als Seelsorger für die vielen Geflüchteten in seiner Stadt fungiert er. Viele Menschen dort haben traumatische Dinge erlebt. Nicht nur Christen, vor allem auch Jesiden, leben dort. Seit dem Völkermord des Islamischen Staates im Jahr 2014 können sie nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die Lage ist immer noch zu unsicher. Sie haben Familie und Freunde verloren, die wurden verschleppt, gefoltert oder getötet.
Dass sein Einsatz Früchte trägt, zeigt sich bei einem Spaziergang durch Enishke. In der Stadt herrscht Frieden und alle Religionen leben hier miteinander. “Wir haben Christen, Jesiden und Moslems hier, sie sind alle Nachbarn”, betont er glücklich. Mit seiner Unterstützung konnte auch ein Kindergarten im Dorf gebaut werden. Ein wichtiger Raum für die Zukunft des Dorfes. In den Räumlichkeiten befinden sich vor allem Kinder, deren Eltern nicht in der Lage sind, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Damit ermöglicht er den Kindern eine erste Perspektive, um sie auf die Schule vorzubereiten.
Seinen Job als Pater nimmt er sehr ernst. “Wenn du jemanden liebst, willst du was tun, um es zu zeigen oder zumindest etwas zurückgeben”, reflektiert er, als er von dem Beginn seiner Arbeit bei der Kirche erzählt. Es sei ein schönes Gefühl, für die Kirche zu arbeiten. Sein Job ermöglicht ihm nahe an Jesus zu sein, an dem was er liebt und gleichzeitig in der Welt etwas Gutes zu tun. Im nächsten Jahr ist sein silbernes Jubiläum, 25 Jahre Pater. Das macht den glücklichen Christen stolz. Seine Laufbahn ist geprägt von Kriegen und Verlusten. Mehrere Kriege hat er miterlebt. Einige Jahre vor dem Genozid durch den islamischen Staat (IS) auf die Jesiden im Irak, hat er eine Stelle in Mossul angenommen. Der Bischof vor ihm wurde zuvor von einem Terroristen getötet. Der bis dato Unbekannte entführte den Erzbischof von Mossul, Paulos Faraj Rahho. Dieser wurde am 13. März 2008 in der Nähe von Mossul tot aufgefunden. Als der IS mit einem Massenmord drohte, flüchteten die meisten Christen aus dieser Gegend und haben bis heute eine unsichere und ungewisse Zukunft im Nordirak.
Deswegen hat die Zahl der Christen im Irak in den letzten Jahren stark abgenommen. Während im Jahr 2003 noch etwa 1,5 Millionen Christen im Irak lebten, sind es heute nicht mehr als 250.000. Außerdem nehmen seit 2005 die Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten zu, weshalb die Lage für Christen immer bedrohlicher wird. Schiiten und Sunniten zählen zu Untergruppen des Islams, welches in etwa vergleichbar ist mit Katholiken und Evangelien.
“Nachts hören wir Maschinen und Drohnen, das sind die Milizen in den Bergen”, erklärt Pater Samir und zeigt dabei in die angrenzenden Berge. Die Milizen gehören der türkischen Arbeiterpartei PKK an, die in Europa als Terrororganisation auf den Fahndungslisten steht.
In Enishke wird es immer gefährlicher, regelmäßig gibt es Tote. Das zeigt, wie wichtig und bedeutend seine Arbeit in dem umstrittenen Gebiet ist. Ein inspirierender Mann, der trotz der immer größeren Gefahren in seiner Stadt standhaft bleibt und für alle Menschen da ist.
Es wird dunkel, als Pater Samir an dem Haus von Shamo Khudida ankommt. Es ist ein kleines Haus, aus grauen Beton. In der Dunkelheit scheinen die Fenster hell, denn im Inneren ist Leben. Khudida ist Jeside und hat den Genozid des IS hautnah miterlebt. In seinem Wohnzimmer hängt ein kleiner Fernseher an der Wand, auf dem Olaf Scholz und der israelische Premierminister Netanyahu eine Pressekonferenz abhalten. Die Stimmung ist aufgrund des Konflikts zwischen Israel und Palästina angespannt. Der Überfall der Hamas ist zu diesem Zeitpunkt zehn Tage alt. Khudida kämpft mit den Tränen. Er lebt mit seiner Familie seit 2014 in Enishke. “Als der IS kam, flüchteten sie in die Berge”, erklärt Pater Samir, während Khudida hektisch an seinem Gebetskranz, eine Kugel, nach der anderen die Hand herunterschiebt, in seinen geröteten Augen sind Tränen. Ihre Flucht dauerte eine Woche, ohne Essen und Trinken machten sie sich auf den Weg. Sie liefen über Leichen und sahen etliche Menschen sterben, ließen Freunde und Familie zurück. Über Syrien gelangen sie dann in den Nordirak. Bis sie schließlich in Enishke Zuflucht fanden.
In dem Haus leben sie kostenlos und Peter Samir versucht ihnen mit Arbeitsplätzen etwas Stabilität zu geben. So arbeitet die Tochter von Khudida in einem kleinen Lädchen in der Stadt. Trotz allem und gerade aufgrund des Zusammenlebens aller Religionen in der Stadt ist es dem Pater wichtig, für Gleichgewicht zu sorgen und allen Bewohnern die Möglichkeit zu geben, ihre Religion frei auszuführen.
Inmitten der Herausforderungen und Unsicherheiten in Eniske bleibt Pater Samir eine lebende Inspiration. Sein unermüdlicher Einsatz für die Bewohner, unabhängig von deren Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, trägt dazu bei, dass die Stadt trotz aller Widrigkeiten ein Ort des Friedens und der Zusammengehörigkeit ist. Pater Samir ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in einer Region, die von Flucht, Gewalt und Unsicherheit geprägt ist.
Autorinnen: Lena Hermann Carolina Greaf Alarcón
Foto: Alexander Fichtner
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