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Nicht auf der Höhe der Zeit: Katholische Positionen im US-Wahlkampf

Wie orientieren sich die Katholiken im US-Wahlkampf. Ein Blick über den großen Teich kann auch zeigen, was hier bei der nächsten Bundestagswahl genauer zu prüfen wäre. Seitens der Kirche gibt es Vorgaben, die den Katholiken Orientierung geben, welche Kandidaten für sie nicht wählbar sind. Es sind fünf Vorgaben, die „Non-Negotiables“, nicht verhandelbar, genannt werden. Im folgenden Beitrag wird gezeigt, dass diese 5 Vorgaben nicht ausreichen, die politischen Projekte der Kandidaten angemessen zu beurteilen. Das wird am Bespiel des Waterboarding aufgezeigt. Weitere Positionen müssen ebenso einer ethischen Beurteilung unterzogen werden, so der Bau einer Mauer, die die USA gegen Süden abschirmen soll oder eine ausreichende soziale Absicherung.

Welche Kandidaten können gewählt werden, ohne dabei moralisch falsche politische Programme und Handlungen zu unterstützen? Auf diese Frage gibt es für Katholiken in den US Wahlkämpfen eine simple Antwort. Die fünf „Non-Negotiables“. Fünf Dinge, die nicht verhandelbar sind, da sie immer moralisch verwerflich sind. Nach Meinung der Vertreter dieser Liste sind Kandidaten, die eine oder mehrere dieser Positionen vertreten, nicht wählbar. Die gängige Liste umfasst Abtreibung, Euthanasie, Embryonenforschung, menschliches Klonen und die homosexuelle Ehe. Die Begründung für die „Non-Negotiables“ ist ihre intrinsische moralische Falschheit. Sie können nach katholischer Lehre unter keinen Umständen erlaubt sein.

Quintisch. Praktisch. Gut.?

Diese Liste scheint sehr praktisch, da sie sehr schnell Kandidaten aussiebt. Traditionell fallen Kandidaten der Demokraten schon bei Abtreibung heraus und auch bei den Republikanern vertreten Donald Trump und John Kasich die Abtreibung entweder generell oder in bestimmten Fällen. Ben Carsons will Embryonenforschung erlauben, auch wenn er es für nicht sinnvoll hält. Damit bleiben beim Stand der Präsidentschaftskandidaten am 23. Februar 2016 nur noch die Senatoren Ted Cruz und Marco Rubio übrig. Wenn also Cruz oder Rubio den Kandidaten für die Republikaner stellen, ist es ganz einfach. Nur der republikanische Kandidat könnte nach dieser Liste gewählt werden. Bei einem anderen Kandidaten ist die Liste komplett nutzlos und es stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch wählen gehen kann.

Die Folter muss in die moralische Bewertung einbezogen werden

Aber auch wenn einer der beiden die Vorwahlen gewinnen, bleibt es fraglich, ob sie unter moralischen Gesichtspunkten „wählbar“ sind. Problematisch ist etwa das Thema Folter. Rubio möchte die Folter von Terrorverdächtigen einführen und so die Sicherheit der USA verteidigen. Für die katholische Lehre ist aber auch die Folter eine intrinsisch falsche Handlung und kann nicht guten Gewissens ausgeführt oder unterstützt werden. Während die beiden demokratischen Kandidaten Folter generell ablehnen, ist bei den Republikanern nur Cruz gegen Folter. Dabei nutzt er jedoch eine unangemessene Definition von Folter und plädiert für die Anwendung von Waterboarding. Das erklärt er so:

“Dem Gesetz nach ist Folter außergewöhnlich starke Schmerzen äquivalent zum Verlust von Organen und Körpersystemen, also ist, nach der Definition von Folter, es [Waterboarding] keine Folter.“

Diese Definition wird in diesem Zusammenhang häufig verwendet, etwa von der Bush Administration zur Legitimation der sogenannten „enhanced interogation methods“. Doch ist sie keine haltbare Definition von Folter. Sie schließt Fälle ein, in denen eindeutig keine Folter vorliegt. Zwei Beispiele sind schmerzhafte medizinische Eingriffe und Selbstverteidigung.

Während die anästhetische Betäubung weit verbreitet ist, gibt es Fälle, in denen sie nicht eingesetzt werden kann. Entweder weil die nötigen Mittel nicht vorhanden oder ihre Anwendung aufgrund von Nebenwirkungen unangebracht ist. Etwa wenn sie Tests verfälschen, die Situation des Patienten verschlimmern oder wenn eine Behandlung die Reaktion des Patienten voraussetzt. In Kriegs- und Krisengebieten sowie bei Katastrophen fehlen häufig Schmerzmittel, so dass lebensrettende Eingriffe ohne Betäubung geschehenen müssen. Der Patient erleidet dabei Schmerzen, wie die Definition sie beschreibt. Es wäre also nach der Definition Folter.

Ein gutes Beispiel dafür gibt es in der Dokumentation „Inside Combat Rescue“. Es zeigt wie Sanitäter den Patienten Intraorbitale Zugänge legen, um lebensrettende Medikamente und Flüssigkeiten zu verabreichen. Die Schmerzmittel, die ihnen zur Verfügung steh, sind aber nicht stark genug, um den Schmerz der Nadel in den Knochen zu lindern. Trotzdem wenden sie die Methode an, um das Leben der Patienten zu retten. Obwohl dies der Definition von Senator Cruz entspricht, ist das Nichtvorliegen der Folter intuitiv klar.

Noch deutlicher ist der Fall der Selbstverteidigung. Bei medizinischen Handlungen kann Aufgrund der positiven Effekte für den Betroffenen gegen das Vorliegen von Folter argumentiert werden. Bei Selbstverteidigung ist dies nicht möglich. Der Einsatz der Gewalt ist nicht im Dienst des Angreifers. Der Angreifer wird dabei verletzt oder getötet, nicht für sein Gut, sondern für das Gut derer, die er angreift. Diese schmerzhafte Gewaltanwendung Folter zu nennen, wäre falsch.

Eine ernstzunehmende Definition, nach der Folter das Nutzen von Leiden um eine bestimmte Reaktion hervorzubringen ist, macht Cruz‘ Position unhaltbar. Waterboarding wird eindeutig als Folter erkennbar. Das Leiden an Fesselung und simulierten Ertrinken zwingt den Betroffenen, dem Willen der Ausführenden zu folgen.

Alle Kandidaten vertreten demnach Positionen, die für das kirchliche Lehramt moralische verboten sind. Dennoch weisen die „Non-Negotiables“ einige Kandidaten als moralisch vorzugswürdig aus.

Wichtige und unwichtige Themen?

Die „Non-Negotiables“ geben vor ungleich wichtigere Themen zu sein. Immerhin gehe es um das Leben und die Würde der Menschen. Doch ist dies kein Grund. die Problematik Folter auszulassen. Denn dabei geht es genauso um die Würde und Existenz des Menschen. Dies zeigt sich bei einer genaueren Untersuchung des ethischen Problems

Während Folter nicht notwendig zum Tod führt, greift sie dennoch den Kern der Person an. Es verletzt den Grundsatz, den Karol Wojtyła die „Personalistische Norm“ nennt und Kant in der Selbstzweckformel des Kategorischen Imperativs aufgreift. Die Person ist der Ursprung ihrer selbst gesetzten Ziele und Handlungen. Sie darf niemals nur als Mittel, sondern muss immer auch als Zweck gesehen werden. Für die Person ist es nicht nur ein Recht, sondern es liegt auch in ihrer Verantwortung, eigene Ziele zu definieren und sie zu erstreben. Denn ohne diese Fähigkeit ist die Person nicht in der Lage, etwas Sinnvolles zu verwirklichen. Handlungen wie Liebe, Selbstentäußerung und Vergebung brauchen eine Person, die selbst handelt, also „Ursache“ ihrer Handlungen ist. Nur durch Freiheit gewinnen Handlungen eine Bedeutung. So kann etwas nicht geschenkt werde, wenn es nicht frei gegeben wird. Das Gegebene behält all seine allgemeinen Eigenschaften, es ist immer noch schön, interessant oder nützlich. Aber es ist kein Geschenk. Als Urheber unsrer Handlungen müssen diese von uns ausgehen. Sie können nicht das Ergebnis von äußeren Einflüssen und internen Reaktionen sein. Es müssen freie Entscheidungen und Handlungen sein.

Folter verneint all dies. Sie zerstört die Freiheit. Die „Handlung“ ist dabei nicht mehr in der Person entschieden, sondern von außen erzwungen. Damit wird der Person ihre Würde aberkannt. Sie wird nicht mehr als ein Ziel in sich selbst gesehen. Mit Folter wird die Person zu einem Wesen degradiert, das eine von anderen erwünschte Information preisgeben soll.

Die Beurteilung der politischen Positionen muss breiter angelegt werden

Das Beispiel Folter zeigt die mangelnde Differenzierung der „Non-Negotiables“. Die Moralischen Fragen in Politik und Gesellschaft sind deutlich komplexer, als diese Fünferliste vorgibt. Dabei sind Fragen von sinnvollen und umsetzbaren Vorhaben noch gar nicht beachtet. So kann es nicht wirklich moralisch gerechtfertigt sein, einen Kandidaten zu wählen, der eine mindestens 8 Mrd. teure Mauer bauen möchte und ein anders Land dafür zahlen lassen will.

So wichtig moralische Integrität bei Politikern ist, kann es nicht die einzig notwendige Eigenschaft sein. Deshalb lässt sich die Verantwortung des Wählers nicht auf eine Liste von „Fünf nicht diskutierbaren Punkten“ einschränken. Diese Punkte ergeben nur Sinn, wenn sie auf Grundlage der gesamten kirchlichen Moral- und Soziallehre bedacht werden. Dann müssen jedoch auch andere Fragen problematisiert werden. Etwa die Forderungen aus den Sozialenzykliken für ausreichende Bezahlung (Quadragesimo anno 71), gerechte Arbeitsbedingungen (Rerum Novarum 29) und eine soziale Absicherung (Caritas in veritate 25). Doch diese Fragen, die auch direkte moralische Ansprüche erheben, werden in der katholischen Betrachtung der US Wahlkämpfe nicht beachtet.


Kategorie: Politik

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