Alte, weiße Männer ist nicht nur das Bild, das man automatisch mit politischen Parteien in Verbindung bringt, sondern auch mit dem typisch deutschen Kleingärtner. Dabei erlebt man im Schrebergarten soziale Interaktionen, wie man sie in kaum einem anderen Bereich der Gesellschaft findet. Der Schrebergarten ist nicht nur aus ökologischer Sicht ein Biotop, sondern dient auf sozialer Ebene als ein Musterbeispiel dafür, wie multiethnisches, generationsübergreifendes Zusammenleben funktionieren kann.
Inklusion
Natürlich verlangt die Gartenarbeit ein gewisses Maß an körperlicher Mobilität. Dennoch gibt es bei uns im Verein auch viele ältere Gärtner:innen, die auf einen Rollator oder eine Gehhilfe angewiesen sind, ihren Garten deshalb nur minimalistisch bewirtschaften können. Ihr Garten ist nicht der ertragsreichste oder gepflegteste. Dafür leben sie die soziale Komponente des Gärtnerns viel stärker aus. Bei ihnen bekommt man immer eine Tasse Kaffee, sie nehmen an allen Vereinsfeiern, Fahrten und Gruppen teil. Gleichzeitig gibt es einige Gartenfreunde, die aufgrund psychischer Beeinträchtigungen oder Suchterkrankungen in ihrem alltäglichen Sozialleben isoliert sind. Ihnen bietet der Kontakt zu anderen Gartenfreund:innen die Möglichkeit und Ungezwungenheit, an einer Form der Gemeinschaft teilzuhaben. Denn oftmals entpuppen sich die Menschen, deren erster äußerer Eindruck sagt: „Halt dich ja fern von mir“, als die freundlichsten und hilfsbereitesten Gartenfreunde.
Integration
Solange man sich aktiv in den Verein einbringt, sind Nationalität oder Herkunft egal. Natürlich lässt sich beobachten, dass Gärtner:innen der gleichen Herkunft schneller zu einander finden, weil die Kommunikation in der Muttersprache einfacher erscheint und eine gemeinsame kulturelle Basis vorhanden ist. Ungeachtet dessen ist der Verein ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, die sich im alltäglichen Leben nicht begegnen würden. Ob bei Gemeinschaftsarbeiten, Versammlungen, Feiern oder einfach im nachbarschaftlichen Alltag. Wer sich für einen Kleingarten entscheidet, entscheidet sich bewusst für Teilhabe am multiethnischen, gesellschaftlichen Leben. Man kann sich nicht vollständig von allen anderen abkapseln. Menschen mit Migrationshintergrund müssen aus ihrer sprachlichen Komfortzone herauskommen, vielleicht die Scham, sich nicht perfekt ausdrücken zu können, überwinden. Gleichzeitig werden die Gärtner:innen ohne Migrationshintergrund sensibilisiert, Toleranz für fremde, neue Traditionen zu entwickeln, Verständnis für Sprachbarrieren und andere Kulturgewohnheiten aufzubringen. Wie sehr das funktioniert, kann man regelmäßig bei Vereinsfeiern beobachten, wenn jeder seinen Teil für ein internationales Buffett beiträgt oder Weihnachtslieder in verschiedenen Sprachen gesungen werden.
Klassenübergreifend
Ob Führungskraft, Schichtarbeiter oder arbeitslos. Akademische Grade, Berufe und Abschlüsse werden am Tor zur Anlage abgelegt. Beim Erwerb eines Kleingartens haben Pflanzen und Gehölze einen höheren Wert als eine stylische Sitzlounge oder eine Outdoorküche. Die Größe der Gärten und Lauben isteinheitlich, "Angeben" ist so ausgeschlossen. Wer den Garten eines Gartenfreunds betritt, kann meist nicht auf Anhieb sagen ob Manager oder Arbeiter. Wenn man sich in Gartencrocs und Arbeitshose in der Anlage begegnet, wird es unwichtig, wem welches Auto auf dem Parkplatz gehört. Statussymbole haben keine große Bedeutung. Gerade für Arbeitslose ist der Kleingarten ein Ort, der ihnen das Gefühl vermittelt, gebraucht zu werden. Die Selbstbestätigung, an der es ihnen vielleicht durch die fehlende Arbeitsstelle mangelt, bekommen sie, wenn sie Nachbarn Gartentipps geben, handwerklich behilflich sein oder die Ernte mit anderen teilen können. Durch die regelmäßige Pflege, die der Garten benötigt, wie durch die Aufgaben, die im Vereinsleben anfallen, bekommen sie einen Grund, den Müßiggang zu vermeiden. Arbeitstätige wiederum haben die Möglichkeit, den psychischen Druck, der sich während eines Arbeitstages aufgestaut hat, abzubauen. Gedeiht eine Pflanze mal nicht, dann ist die Sorge darüber nicht so groß wie die über einen misslungenen Geschäftsabschluss. Im Garten fragt man nicht „Was machst du beruflich?“, sondern „Was pflanzt du?“
Generationsübergreifend
Ich bin keine 30, auf Vereinsfeiern tanze und feiere ich zu deutschem Partyschlager mit über 80-Jährigen, die nicht meine Großeltern sind oder zur Familie gehören. Nach 25 Jahren im Kleingartenverein sind viele von ihnen aber schon fast zu einer zweiten Familie geworden. Man duzt sich, macht mal einen Spaß auf Kosten des anderen. Nie habe ich das Gefühl, dass meine Meinung weniger zählt, meine Ideen und Ansichten auf taube Ohren stoßen, weil ich jünger oder weniger lebenserfahren bin. Durch den Garten und den Verein hat man immer ein gemeinsames Gesprächsthema und damit eine Grundlage, über die man sich identifiziert. Neulich, bei einem Spaziergang durch unsere Gartenanlage, schaute der Sohn eines Gartenfreundes bei einem unserer Mitglieder vorbei, um auf dessen Akkordeon zu üben. Der Altersunterschied von 70 Jahren spielte beim gemeinsamen Musizieren keine Rolle.
Der Schrebergarten ist ein gesellschaftliches Biotop
Als Kleingärtnerin komme ich in Kontakt mit Menschen, denen ich in meinem Alltag nicht begegnen würde, weil unsere sozialen Umfelder keinerlei Berührungspunkte oder Gemeinsamkeiten haben. Im Gartenverein werden die gesellschaftlichen Gewohnheiten neu bestimmt. Soziale Kategorien, Berufsbezeichnungen oder Generationsbestimmungen werden hinfällig. Die Bezeichnung „Gartenfreund:in“ ist die Kategorie, die einen im Schrebergarten identifiziert.
Das Schrebergarten-Lebensgefühl aus der Erfahrung Jüngerer beschreibt Kerstin Barton in:
Schrebergarten - der aktuelle Hype
Von den vielen Vereinen, in denen sich katholisches Leben abspielte, haben einige überlebt. Warum die Pfadfinder dazu gehören, erklärt Eckhard Bieger im nächsten Beitrag.
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