Weltweit herrscht in der katholischen Kirche Aufbruchsstimmung, der neue Papst stößt auf erstaunliche Resonanz. Es sind die Kontinente und Länder mit einer jungen Bevölkerung, die ihre Zukunft auch in der Kirche einfordern. In den arabischen Ländern hat dieser Ausgriff in die Zukunft bisherige Machtgefüge erschüttert. In Deutschland ist die Grundstimmung anders: Wegen des Geburtenrückgangs droht keine Arbeitslosigkeit mehr, die Jugend hört von Mangel an Fachkräften - und sucht ihren Weg in den Communities des Internets, ist mit dem Handy in einem weltweiten Netz unterwegs und lässt sich nur schwer für regelmäßige Treffen verpflichten. Diese Jugend braucht auch keine Zeitung mehr, um sich informiert zu fühlen. Auflagenrückgang und Rückgang der Kirchenbesucher scheinen sich zu entsprechen. Die Veränderungen sind nicht erst mit dem Internet gekommen.
Zuerst kam die Differenzierung der Lebensstile
Wir wählen heute nicht mehr wie früher zwischen drei Waschmitteln, sondern zwischen dreißig. Bei Autotypen verhält es sich ähnlich. Jeder Autotyp wie jede Kosmetiklinie oder Modemarke dienen nicht nur einfach dem Gebrauch, sondern der Verwirklichung eines Lebensstils. Je mehr Marken, desto mehr Lebensstile. Diese wurden bisher durch die Illustrierten konturiert und verbreitet. Deutschland ist das Land mit den meisten Zeitschriftentiteln. Indikator ist die große Titelvielfalt der Frauenzeitschriften. Jede Zeitschrift schart eine begrenzte Leserschaft um sich, die sie mit Kosmetik-, Ernährungs-, Freizeit- und vielen anderen Tipps versorgt, wie man sein Leben gestalten soll. Verbunden mit der Werbung für die Konsumangebote, die ja genau für die Zielgruppe entwickelt und gestaltet wurden, die die Zeitschrift anspricht, entsteht eine Lebenswelt, die sich im Kolleginnenkreis und auf der Straße widerspiegelt: man erkennt sich an den Stilmerkmalen, die zu nutzen man durch die Zeitschrift gelernt hat. Es ist eine Art säkulare Konsum-Spiritualität, die einem zugleich einen Platz unter Gleichgesinnten gibt. Das alles wäre ohne Medien nicht möglich und hat sich mit der wachsenden Konkurrenz der Konsumgüterindustrie entwickelt.
Internet: Noch mehr Differenzierung
Die Zeitschriften haben entscheidenden Anteil, dass sich die deutsche Bevölkerung nicht mehr nur nach Arbeiter, Angestellter, Unternehmer unterscheidet, sondern in 10 verschiedene Lebenswelten aufgespalten hat, von denen keine mehr als 15% der Bevölkerung ausmacht. Vor allem die Mitte der Bevölkerung hat sich stark verringert. Waren es 1985 noch über 40% der Menschen, die Volkswagen oder Opel fuhren, die Regionalzeitung abonniert hatten, mit Persil gewaschen und in Österreich oder Italien Urlaub gemacht haben, so gibt es heute nicht nur BMW-Fahrer, sondern Menschen, die mit einem Peugeot oder einem Skoda sich jeweils anders positionieren. An den Automarken und den Handys kann jeder beobachten, dass die Differenzierung der Gesellschaft nichts von ihrer Dynamik verloren hat. Das erklärt, warum das Internet in diese Gesellschaft passt. Es ermöglicht noch mehr Differenzierung als ein Bahnhofskiosk. Die Homepages ermöglichten es auch Gruppierungen, Ortsverbänden, Kirchengemeinden, Praxen und kleinen Firmen, die bisher nicht daran gedacht hatten, ihre Zielgruppe mit einem Periodikum zu versorgen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Web1.0, wie diese Form des Internets genannt wird, ermöglichte auch die Kommentierung, es gab bereits Foren, auf denen sich Nutzer zur Diskussion bestimmter Themen versammelten. Mit dem Web2.0 oder den Social Media kann man nicht nur sein Tagebuch als Blog veröffentlichen, sondern diesen zu einer Kommentar-Zeitung ausbauen, auf den sog. Community-Plattformen versammeln sich große und kleine Gruppen zu Aktivitäten und Themen, die sich unbegrenzt vervielfältigen lassen. Die Differenzierung geht also weiter. Das heißt aber dann auch, dass sich der Bildungsmarkt wie die spirituellen Angebote ähnlich differenzieren müssen. Schaffen das die Bildungswerke und die Kirchen? Im Moment noch nicht.
Die katholische Kirche erreicht nur drei Lebenswelten
Legt man die Landkarte der deutschen Lebenswelten zugrunde, die das Sinus-Institut in Heidelberg jeweils fortschreibt, dann gibt es drei fundamentale Feststellungen:
Katholiken finden sich in allen 10 Sinus-Milieus, wie die Lebenswelten genannt werden.
Angebote der Pfarreien und Bildungswerke werden jedoch nur von drei der Milieus genutzt. Diese drei sind einmal diejenigen, die sich in Kindergartenbeiräte wählen lassen und die meisten Vereinsmitglieder stellen. Dann sind es die treuen Kirchgänger und Kirchgängerinnen, die auch zu Andachten und dem Rosenkranzgebet kommen. Die dritte Gruppe sind die gut ausgebildeten Konservativen, die gerade im Umfeld liberaler und antireligiöser Einstellungen von den christlichen Werten überzeugt sind.
Die Hauptamtlichen kommen nicht nur aus dem konservativen und bürgerlichen Milieu, sondern auch aus dem Sozio-Ökologischen. Weil sie sich für die Bewahrung der Schöpfung und einen Ausgleich mit der Dritten Welt einsetzen, finden sie im Raum der Kirche viele Möglichkeiten, diese Werte auch umzusetzen.
Die Konsequenz aus diesem Befund liegt auf der Hand:
Die kirchliche Pastoral muss auf die anderen Milieus, vor allem auf die Jüngeren zugehen.
Man wird, entsprechend der Entwicklung von Facebook, mit vielen kleinen Gruppierungen und nur wenigen größeren rechnen müssen.
Das führt zur nächsten Konsequenz:
Die Hauptamtlichen können das nicht mehr leisten
Es wäre eine schiere Überforderung, sollten ein leitender Pfarrer oder eine Pastoralassistentin Zugang zu 10 und demnächst wahrscheinlich noch mehr Lebenswelten finden müssen. Zumutbar sind vielleicht drei unterschiedliche Milieus. Das zeigt deutlich, dass die katholische Kirche in Deutschland sich dem weltweiten Pastoralkonzept anschließen muss, das kirchliche Leben auf kleine Gruppen von Laien aufzubauen und diese jeweils zu Eucharistiefeiern der Gesamtgemeinde, zu großen Vortragsreihen und Festen zusammenzuführen. Die Zersplitterung in immer mehr Lebenswelten zwingt die katholische Kirche in Deutschland, ihre Seelsorgeorganisation so umzustellen, wie es z.B. die afrikanischen Bistümer längst gemacht haben. Dort versteht man nicht die Pfarrei als Gemeinschaft, sondern diese bietet den gemeinsamen Rahmen für 20 und mehr Nachbarschaftsgruppen. Es ist also nicht die Pfarrei die Gemeinde, sondern die Gruppe, in der man sich während der Woche meist einmal trifft. Das lässt sich nicht 1:1 auf die deutsche Gesellschaft übertragen, hier werden sich in den Stadtregionen die Gruppen weniger über Nachbarschaften organisieren, sondern entsprechend der Spiritualität, die ihrem Lebensgefühl entspricht. Da die katholische Kirche hier nicht nur Benediktinisches oder Exerzitien bietet, sondern auch viele neue Ansätze, ist eigentlich alles vorbereitet. Jedoch:
Die Milieus haben neue Kommunikationsmuster entwickelt
Obwohl die katholische Kirche einiges in Sachen Internet getan hat, erreicht sie doch nur die Zielgruppen, die kaum das Internet und noch weniger das Social Web nutzen, also Mitglied einer Community sind, Kommentare zu Beiträgen schreiben, Twitter abonniert haben, Blogs lesen oder gar schreiben. So wie die Musikfarbe der Gottesdienste wenig mit den Hörgewohnheiten der jüngeren Milieus zu tun hat, so sind auch die Kommunikationsmuster der Pfarreien und Bildungswerke am Zeitgeist vorbei gestrickt. Zwar wird viel über Facebook und die Datensicherheit diskutiert. Selten ist jedoch unter Hauptamtlichen Thema, wie die jüngeren Milieus mit diesen Medien umgehen und welche Kommunikationsmuster sie entwickelt haben. Ehe abschließend Urteile gefällt werden, geht erst einmal darum, diese Welt zu erkunden, so wie das Altvordere z.B. mit dem Kino gemacht haben, um Beurteilungskriterien für Filme zu entwickeln. Das hat die Mehrzahl des pastoralen Personals damals auch für überflüssig gehalten, bis dann einige entdeckt haben, dass Filme sehr wohl die religiöse Grundbefindlichkeit des Menschen zur Darstellung bringen, so dass Prediger anfingen, ins Kino zu gehen, um den Zugang zu ihren jüngeren Zuhörern zu finden. Es reicht allerdings nicht, sich in Facebook kundig zu machen, denn wer über das Evangelium sprechen will, muss für das jeweilige Milieu die Sprache finden, die der jeweiligen Lebenswelt hilft, auf das Religiöse zuzugehen.
Es braucht Protagonisten
Wenn die Konsumgüterindustrie eine neue Kosmetiklinie, eine neue Modemarke, eine neue Freizeitidee vermarkten will, sucht sie Protagonisten, an den man ablesen kann, wie das Parfüm die Person konturiert, welcher Persönlichkeitstyp dieses Auto fährt, wer in diesen Anzug "passt". Das Prinzip hat die katholische Kirche schon sehr viel früher praktiziert. In jeder Epoche gab es religiöse Protagonisten, die die Elemente des Christlichen in eine neue Synthese gebracht haben. Die sieht bei Benedikt von Nursia anders aus als bei Franziskus und wieder anders bei Ignatius von Loyola. In neuerer Zeit hat Charles de Foucault dem Christlichen eine ganz andere Ausdrucksgestalt gegeben als Mutter Teresa. Diese spirituellen Protagonisten kann man nicht am Reißbrett konstruieren, sie werden der Glaubensgemeinschaft geschenkt. Da Planung im Zeitalter von Differenzierung und digitalen Medien sowieso nicht funktioniert, müssen die für die Seelsorge Verantwortlichen Ausschau nach neuen spirituell Kreativen halten. Verlässt man sich auf Planungstechniken, dann kann man nur das Bestehende fortschreiben.
Wenn die Zeichen der Zeit in diesem Beitrag einigermaßen beschrieben sind, dann sollten wir zu den biblischen Prinzip für die Seelsorge zurückgehen: Mit den Charismen rechnen. Einige Bistümer, so Paderborn und Freiburg, haben das in ihre Leitlinien geschrieben.
Eckhard Bieger S.J.
Eine Beschreibung der 10 Lebenswelten, die das Sinus-Institut herausgefunden hat, finden sich bei
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